Leonhard Wagner

Leonhard Wagner Silberstiftzeichnung von Hans Holbein d. Ä., Berlin Kupferstichkabinett (Nr. 2525)

Kalligraph. Geboren 1453 in Schwabmünchen bei Augsburg, gestorben 1522 in Augsburg. Auch »Meister Leonhard«, »Wirstlin« oder »Würstlin« genannt. Bedeutendster Kalligraph der deutschen Spätrenaissance und Schöpfer der kalligraphischen Fraktur.

1472 trat Leonhard Wagner als Pater in den Benediktinerorden der Reichsabtei St. Ulrich und Afra (1012–1803) in der freien Reichsstadt Augsburg ein, dem heutigen Benediktinerstift St. Stephan (seit 1835). Er wirkte ab 1480 dort im Skriptorium des Klosters. Der Klosterchronik und seinen autobiographischen Aufzeichnungen zufolge – diese »Conscriptiones« von 1494 werden in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg aufbewahrt – vollendete Meister Leonhard mehr als 50 Manuskripte, überwiegend liturgische Kodizes, deren einige von so bedeutenden Miniaturmalern wie dem Augsburger Nikolaus Bertschi illuminiert wurden. Für Kaiser Maximilian I. kalligraphierte Wagner 1492 die Prachthandschrift »Vita Sancti Simperti« mit Illustrationen von Hans Holbein d. Ä., die heute in der Bayerischen Staatsbibliothek München liegt.

Auch in anderen Benediktinerklöstern, beispielsweise im schweizerischen St. Gallen, lehrte Leonhard die Kunst des »schönen Schreibens«, die er selbst in solcher Vollendung beherrschte, dass er von Zeitgenossen sogar als »das achte Weltwunder« gepriesen wurde. Sein kalligraphisches Meisterwerk ist die Kaiser Maximilian I. gewidmete »Proba centum scripturarum una manu exaratarum« von 1507, ein heute in der Bibliothek des Bischöflichen Ordinariats zu Augsburg aufbewahrtes Musterbuch mit über 100 Schriften, von denen Meister Leonhard einige auch selbst entworfen hatte; im Kapitel »lettera moderna« wurden erstmals die Fraktur und eine Halbfraktur vorgestellt, die Wagner dezidiert als »fractura germanica« und »semifractura« bezeichnete. Ein Faksimile der »Proba« in zwei Bänden wurde 1963 von Carl Wehmer in Frankfurt publiziert.

»Her Lienhart Wagner, der guot Schreiber«, wie der berühmte Augsburger Maler Hans Holbein d. Ä. auf einem seiner heute in der Kollektion des Berliner Kupferstichkabinetts befindlichen Portraits des Meisterkalligraphen vermerkte, beeinflusste die deutsche Schriftgeschichte bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Denn »seine« deutsche Fraktur wurde bzw. war bis zum Ende des II. Weltkriegs die bürgerliche Verkehrsschrift im deutschsprachigen Raum.

Quelle: ►Beinert, Wolfgang: Typolexikon.de, Das Lexikon der westeuropäischen Typographie